Die Entdeckung der "Jura"

Wer hat sie wahrlich entdeckt ? Die spannende Geschichte der Entdeckung des bekanntesten Wracks im Bodensee

Wer hat nicht schon vom legendären Wrack der "Jura" (gesunken 1864 im Bodensee) gehört ? Und wer hat sie wirklich gefunden ? Nachdem sich in den vergangenen Jahren immer wieder selbst ernannte „Entdecker“ und "Wiederentdecker" des Wracks der „Jura“ zu Wort gemeldet hatten, hatte unser Rüdiger Haag gewissenhaft in der Vergangenheit recherchiert. Mit Hilfe seines alten Freundes und TSCF-Gründungsmitglied Heinz-Günter Masermann, kam eine aufregende und mitreißende Geschichte an den Tag:


Heinz-Günter Masermann erinnert sich

Ein ehemaliger „Flieger“ namens Ludwig Hain, welcher nach Ende des 2.Weltkrieges in Norwegen blieb, kam mit der „Taucherszene“ in Berührung. Die Arbeit des Bergungskommando der Kriegsmarine interessierte Ludwig Hain, schnell freundete er sich mit dem Einsatzleiter des Bergungstrupps an. Diese Begegnung sollte sein Leben verändern: Rasch arbeitete er sich in die Theorie und Technik der Bergungen und des Tauchens ein und lernte das Tauchen, welches zu dieser Zeit den „Berufstauchern“ vorbehalten war. Anfang der 50er Jahre kam Ludwig Hain aus Norwegen zurück und fand Arbeit bei einem Schweizer Tankstellenbesitzer am südlichen Bodenseeufer. Dieser erhielt seinerzeit einen „Gestattungsvertrag zur Bergung von Wehrmaterial“ aus dem Bodensee. Der Schrottwert der geborgenen deutschen und alliierten Flugzeuge war in dieser Zeit sehr lukrativ. Mit dem Erlös baute sich der Schweizer Unternehmer Martin Schaffner ein Tankstellenimperium auf und Ludwig Hain erhielt eine feste Anstellung. Als dieser von einer deutschen „Flieger Witwe“ gebeten wurde nach der abgestürzten ME 110 ihres verschollenen Ehemannes am Schweizer Bodenseeufer, nähe Münsterlingen zu suchen, nahm er diesen Auftrag an.


Quelle Fotos: flugzeugclassic.de: "Flugzeugwracks am laufenden Band" - Über den legendären Ludwig Hain

Viele Stunden im „Sitzgeschirr“ mit der Helmtauchausrüstung sitzend, wurde Ludwig Hain in ca. 30 bis 40 Meter Tiefe „durch den Bodensee gezogen“. Bei einer dieser Suchaktionen - das Flugzeug wurde übrigens nie gefunden - entdeckte er im Februar 1953 einen „weißen Schornstein“ auf dem Seegrund. Über die damals schon im Tauchhelm eingesetzte Telefonleitung bat er das Suchschiff zu stoppen. Beim „Tiefergehen“ sah er das im Dämmerlicht nur schemenhaft auszumachende „Dampfschiff“ dessen Identität zu dieser Zeit noch nicht bekannt war. Die Position wurde durch „Peilung von Landmarken“ festgelegt und galt als „Geheimnis“. Erst nach wiederholten Tauchgängen konnte der Name „JURA“ identifiziert werden.


Aufnahmen von Heinz-Günter Masermann aus dem Jahr 1969. Mit freundlicher Genehmigung von I. Masermann

In den folgenden Jahren heiratet Ludwig Hain und lässt sich in Langenargen nieder. Hier bekommt er auch Kontakt zu dem damaligen einzigen kommerziellen Tauchunternehmen mit Sitz in Lindau, der Tauchfirma DREXLER. Heinz-Günter Masermann (Gründungsmitglied des TSCF - Anmerkung des Webadmin), der damals bereits im Nebenjob für Herrn Drexler tauchte, lernte hier Ludwig Hain kennen und wurde in das „Geheimnis der JURA“ eingeweiht.

Im Jahr 1969, Heinz-Günter Masermann war inzwischen stolzer Besitzer einer der ersten kommerziell einsetzbaren Unterwasserkameras, einer „ CALYPSO PHOT “, wurde eine gemeinsame „Fotoaktion“ zwischen den „Wissenden“ an der JURA vereinbart. Die seinerzeit gemachten schwarz-weiß Bilder haben die Zeit überdauert und befinden sich noch heute im Nachlass von Heinz-Günter Masermann.
Quelle: Erinnerungen von Heinz-Günter Masermann, aufgezeichnet von Rüdiger Haag kurz vor dem Tod von Heinz-Günter Masermann


Aufnahmen von Heinz-Günter Masermann aus dem Jahr 1969. Mit freundlicher Genehmigung von I. Masermann.


Heinz-Günter Masermann (verstorben 10.01.2008), Gründungsmitglied des TSCF und erster Fotograf der "Jura".

Zeitungsbericht vom 13. Februar 1864

In der Zeitung "Seeblatt für Stadt und Land, No. 18" vom Samstag, 13. Februar 1864
(Quelle: Stadtarchiv Friedrichshafen) war dieser Artikel zu finden:

Friedrichshafen, 12. Februar  (Untergegangenes Schiff) Das schweizerische Dampfboot  » Stadt Zürich « ist heute vormittag gegen 11 Uhr bei Münsterlingen unterhalb von Romanshorn mit dem nach Constanz steuernden bayer. Dampfboot »Jura« bei ziemlich starkem Nebel zusammengestoßen und hat dasselbe in den Grund gebohrt. Passagiere und Mannschaft gerettet, jedoch ein Matrose auf der Stelle getödtet worden, denselben soll es förmlich zerspalten haben, dem Schiffsjungen ein Arm abgebrochen. Der Zusammenstoß muß ein ungemein heftiger gewesen sein, da nach Verlauf von kaum 3 Minuten der »Jura« vom Spiegel des See‘s verschwunden gewesen. Das Boot »Jura«, welches vorher auf dem Bieler See lief, ist von der bayr. Regierung bekanntlich als Ersatz für das ebenfalls infolge eines Zusammenstoßes mit der  » Stadt Zürich « , am 11. März 1861 untergegangenen » Ludwig « angekauft worden, und wie der ist es das Boot »Zürich«, welches nun auch den »Jura« nach nicht gar langer Fahrt auf dem Bodensee ein Grab in den Tiefen des See‘s gebettet – möchte man da nicht versucht werden, das Boot »Zürich« den bösen Geist des Bodensee‘s zu nennen!
Quelle: Stadtarchiv Friedrichshafen:  Seeblatt für Stadt und Land, No. 18, Samstag, 13. Februar 1864


Aufnahme: TSCF Wracktauchgang zur Jura. Fotogalerien des TSCF

Protokollauszüge der Zeugenvernehmungen nach dem Unfall

Kempten, den 23. Februar 1864. Der Untersuchungsrichter am Königlichen Bezirksgericht Kempten an das Obergericht des Kantons in Frauenfeld Kanton Thurgau ; Voruntersuchung wegen fahrlässiger Tötung des Matrosen Martin Rupflin von Lindau

Am Freitage den 12 d. Mts. Vormittags zwischen 10 ¾  und 11 Uhr ist das um 10 ½  Uhr aus dem Hafen in Constanz ausgelaufene schweizerische Dampfschiff Zürich… zwischen Bottighofen und Münsterlingen - nach 10 – 12 Minuten langer Fahrzeit – mit dem von Romanshorn nach Constanz steuernden bayer. Dampfschiffe Jura so heftig zusammengestoßen, daß letzteres Schiff in Folge des hierdurch von der vorderen rechten Seite des Bugspriets verursachten Risses von angeblich 10 –12 Schuh Länge nach Verlauf einiger Minuten in die Tiefe des Bodensees versank.

Der als Wache am Bugspriet der Jura gestandene Matrose Martin Rupflin von Lindau wurde von dem Schiffschnabel der in die Jura einrammenden Zürich erfasst und sofort getödthet; während der vorne an der Schiffsglocke postiert gewesne und seitwärts geschleuderte Schiffsjunge Andr. Buschor einen Bruch des linken Oberarmes und mehrere kleinere Armverletzungen erlitten hat. Nach diesseits geltenden strafgesetzlichen Bestimmungen ist der betreffende Schiffsführer für den durch den Zusammenstoß der Schiffe eingetretenen Erfolg, vorausgesetzt, daß derselbe in fahrlässiger Weise versäumt hat, solchen Zusammenstoße vorzubeugen, strafrechtlich verantwortlich.

Diesseits wurde deßhalb Kriminaluntersuchung wegen fahrlässiger Tötung des Matrosen Martin Rupflin eingeleitet und haben die bisherigen Erklärungen ergeben, daß auf dem bayer. Dampfboote Jura in dem Augenblicke, als das Läuten der Schiffsglocke des entgegenkommenden Dampfschiffs gehört wurde, die vorschriftsgemäßen Commandos: »Langsam, Stopp, Rückwärts« ertönten und die Jura selbst nahezu zum Stillstande gebracht wurde. Anders verhält sich die Sache mit dem schweizerischen Dampfschiffe Zürich. Durch eidliche Einvernahme des während der Katastrophe auf dem Dampfschiffe der Stadt Zürich, und zwar vorne als Wache am Bugspriet gestandenen Matrosen Waidmann ist erhoben, daß er wenigstens 3 Minuten vor dem Anpralle die Glocke des entgegenkommenden Dampfschiffes läuten zu hören vermuthete und sofort von dieser Wahrnehmung dem angeblich an der Maschine gestandenen Capitain Blumer mit der Hand ein Zeichen gegeben hat; daß jedoch Blumer unterließ hierauf ein Comando zu erlassen.
Quelle: Bayerisches Haupt-Staatsarchiv München; Staatsarchiv des Kantons Thurgau, Frauenfeld

Zeugenaussage  Micheline Grensing, Berg, Bezirk Rorschach, Modistin, 16 Jahre alt

Fast eine Viertelstunde vor dem Zusammenstoß der beiden Schiffe hat man auf dem Jura zu läuten angefangen u. dieß unausgesetzt gethan, bis dann der Zusammenstoß erfolgte. Vom Läuten auf dem Dampfboot Zürich habe ich nichts gehört. … plötzlich krachte es. Der eiserne Ofen stürzte um u. die Kajütenfenster wurden eines nach dem andern eingedrückt. Während ich u. die 3 Herren, die noch in der Kajüte waren, diese verließen, drang bereits das Wasser durch die entstandenen Oeffnungen herein. Sobald wir auf dem Verdeck waren, sprangen die Leute auf unserm Schiff auf das Schiff Zürich hinauf, ich selbst wurde von einigen Männern ebenfalls auf dieses letztere Schiff gezogen.
Quelle: Bayerisches Haupt-Staatsarchiv München; Staatsarchiv des Kantons Thurgau, Frauenfeld

Zeugenaussage  Johannes Stehlin, Binningen, Kt. Basel-Land, Fabrikaufseher, 21 Jahre alt

Freitags, den 12. d.M. Vormittags 11 Uhr befand ich mich auch als Passagier auf dem Dampfschiff »Jura« auf´m Bodensee, Fahrt von Romanshorn nach Constanz u. zwar in der Cajüte N: 2, als der fragliche Zusammenstoß mit dem Dampfschiff »Stadt Zürich« statthatte. Cirka 1 Minute vor dem erfolgten Zusammenstoß fuhr unser Schiff auf´s Commando des Capitäns rückwärts & der Stoß kam an die Wand, an der ich saß. Außer dieser Vorsicht von Seite unseres Capitäns war auch die übrige Schiffsmannschaft & Bedienung in Ordnung, sodaß ich gar nichts Nachtheiliges gegen sie zu sagen vermöchte. Nach meinem Urtheil war der Kapitän des Schiffes »Stadt Zürich« nicht so aufmerksam & vorsichtig, sonst würde er wohl ebenfalls bei der Ansicht rückwärts kommandiert & so den gefährlichen Grad des Zusammenstoßes , vielleicht den Zusammenstoß ganz verhütet haben. Mir ist bei diesem Begegniß ohne den Schreck für die entstandene Lebensgefahr an den verlorenen Effecten… ein Schaden von Franken dreißig entstanden, dessen Vergütung ich natürlich wünschen muß. Unserm Kapitän ist noch das Zeugniß zu geben, daß er während dieses Unglückfalls pflichtgetreust für das Leben & die Rettung der Passagiere besorgt war. …Der Jura war auf ´m Vordertheile mit zwei oder 3 Spiritusfässern, vielen Mehlsäcken, mehrere Käskisten, Eisenwaaren in Platten & Stangen, mehrere Seidenballen also stark beladen…
Quelle: Bayerisches Haupt-Staatsarchiv München; Staatsarchiv des Kantons Thurgau, Frauenfeld



Quelle: wikipedia.org


Foto: Privat. Die Schiffsglocke der "Jura" in der Sonderausstellung August 2016 bis Frühjahr 2017 im Seemuseum Kreuzlingen (CH)